Kann meditieren dabei helfen, in der Weihnachtszeit ungewollt zu viel zu essen? Ja, sagt ein Experte. Wie Achtsamkeitsübungen unser Essverhalten beeinflussen.
Da steht er, der Plätzchenteller, mitten auf dem Tisch. Vanillekipferl, Nougatstangen und Kokosmakronen sehen zum Anbeißen aus. Ehe man sich versieht, landen die süß duftenden Köstlichkeiten im Mund, im Magen und auch im Kopf – als schlechtes Gewissen. Man nimmt sich vor, beim nächsten Mal nicht mehr so beherzt zuzuschlagen und tut es kurze Zeit später doch wieder. Ein Kreislauf, den manche nur in der Adventszeit durchlaufen, andere über das ganze Jahr hinweg. Kann man die Gelüste nun einfach wegmeditieren? Ganz so einfach ist das zwar nicht, dennoch können sich Achtsamkeitsübungen und Meditationen positiv auf unser Essverhalten auswirken, sagt Jochen Auer. Er ist Diplompsychologe, Meditationslehrer und Coach. Seit 2010 forscht er zum Thema und entwickelte vor einigen Jahren das Training „Abnehmen durch Achtsamkeit“, kurz: ADA. Es wurde wissenschaftlich untersucht und bei Adipositas-Patienten angewandt. „Das Ergebnis war verblüffend“, erinnert sich Auer. Während ihres Klinikaufenthalts lernten die Teilnehmer*innen in acht Wochen verschiedene Achtsamkeitsübungen kennen und praktizierten regelmäßig. „Manchmal reichen auch ein paar Minuten am Tag, insbesondere vor dem Essen“, sagt Auer.
Die Forscher fanden heraus, dass die ADA-Patienten in den acht Wochen zwar gleich viel abgenommen haben wie die Kontrollgruppe ohne Achtsamkeitstraining. „Aber danach haben sie weiter abgenommen“, sagt Auer, zudem sei die Rückfallquote nach einem Jahr viel geringer gewesen. „Außerdem waren die ADA-Patienten glücklicher und zufriedener, und das wirkt sich wiederum auf das Essverhalten aus.“
Achtsam wahrnehmen: Augen- oder Magenhunger?
Zum Training gehört, sich mit dem eigenen Essverhalten auseinanderzusetzen und die verschiedenen Hungertypen kennenzulernen. Jochen Auer unterscheidet hauptsächlich zwischen dem Augenhunger (Verführungshunger), dem Magenhunger und dem Gefühlshunger. Sein Fazit: Wer in Achtsamkeit geübt ist, stellt schneller fest, um welche Art von Hunger es sich im Augenblick handelt und lernt, im entscheidenden Moment „Stopp“ zu sagen. Er empfiehlt, Essensimpulse zunächst einmal nur wahrzunehmen und beispielsweise durch eine kurze Atemmeditation festzustellen, welche Art von Hunger oder welches Gefühl im Moment präsent ist. „Viele Teilnehmer*innen spüren dadurch, wie voll oder leer ihr Magen tatsächlich ist, oder was sie wirklich brauchen, und können ihr Essverhalten anpassen.“
Selbstmitgefühl als wesentlicher Baustein beim achtsamen Essen
Noch intensiver mit Gefühlen und dem Essverhalten beschäftigt sich seine Frau Anna, Abnehmcoach und (Körper)-Psychotherapeutin. Sie hat das ADA-Training mit ihrem Mann zum Coachingprogramm „Wohlfühlpilot“ weiterentwickelt. Mit ihren Klient*innen versucht sie beispielsweise herauszufinden, was hinter dem Gefühlshunger steckt und wie diese Bedürfnisse befriedigt werden können, anstatt zum Essen zu greifen. Auch Selbstliebe und Selbstmitgefühl spielen beim achtsamen Essen eine große Rolle. Denn gerade Menschen, die aus emotionalen Gründen essen, neigen dazu, sich selbst sehr stark zu kritisieren. „Das führt zu noch mehr Frust und Stress“, sagt Anna Auer. Sie vermittelt Techniken, mit denen ihre Klient*innen lernen, sich selbst und ihr Verhalten zunächst einmal ohne Urteil anzunehmen und sich fürsorglich und liebevoll zu begegnen. Das wirke sich entspannend aus und sei die Grundlage dafür, bewusste Entscheidungen zu treffen.
Schafft man es so, ohne ungewollte Extrapfunde durch die Adventszeit zu kommen? Jochen Auer gibt Entwarnung: Es sei ganz normal, in der Weihnachtszeit ein bisschen zuzunehmen. „Ich nehme auch jedes Jahr ein bis zwei Kilo zu und nehme das ohne Diät nach Weihnachten wieder ab.“ Er rät, sich dafür mehr zu bewegen. Wer nascht, sollte es bewusst tun, und sich trauen, auch mal „Nein“ zum Plätzchenteller zu sagen, oder bei Verabredungen nichts zu essen, wenn man keinen Hunger hat.