Verständnis erleichtert eine achtsame Haltung. Familiencoach Leonie Ries erklärt, was hinter dem Verhalten von Kindern steckt
In meinen Achtsamkeitskursen lernen Eltern, wie sie Empathie und Mitgefühl entwickeln. Ich habe festgestellt, dass uns das leichter fällt, wenn wir das Verhalten der Kinder verstehen. Deshalb habe ich mit Familiencoach Leonie Ries über typische Herausforderungen im Eltern-Alltag gesprochen und wie es uns gelingt, gelassen zu bleiben.
Wutanfälle nach der Kita
Viele Eltern kennen es: Sie holen ihr Kitakind von der Einrichtung ab. Sie freuen sich auf das Wiedersehen. Doch sobald die Tür ins Schloss fällt – zack: Wutanfall! Das ist normal, sagt Familiencoach Leonie Ries. Kinder müssen sich nach einem anstrengenden Tag entladen. Sie waren in der Kita angepasst, haben Rücksicht genommen – zu Hause dürfen sie endlich loslassen. Wichtig ist es laut Leonie Ries zu verstehen, dass das Kind mit seinem Verhalten nicht provozieren oder die Eltern ärgern will. Es fühlt sich jetzt einfach sicher genug, um angestaute Anspannungen rauszulassen. „Dieses Verhalten ist ganz natürlich, wir haben als Eltern nichts falsch gemacht, im Gegenteil“ sagt Ries. Wutanfälle sind ein Vertrauensbeweis. Allerdings erleben viele Eltern diese als unangenehm oder sind beim Abholen selbst total abgehetzt. Die Gefahr ist groß, dass es dann kracht.
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Mach vor dem Abholen einen kurzen Check-In bei dir selbst, zum Beispiel eine Achtsamkeitsübung. Frage dich, wie es dir gerade geht und prüfe deine Energiereserven – dein Kind wird sie gleich anzapfen.
Frage dich, was die Wutanfälle in dir auslösen: Welche Gefühle, Gedanken, Emotionen. Fühlst du dich provoziert oder überfordert? Reflexion hilft Eltern dabei, sich selbst besser zu verstehen und somit auch entspannter auf Wutanfälle zu reagieren. Noch ein Tipp von Leonie Ries: „Für Kinder ist die Welt nach einem Wutanfall meistens schnell wieder in Ordnung. Auch Eltern sollten mit ihren Gedanken nicht all zulange daran hängenbleiben.“
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Hausaufgaben ohne Drama
Die Wutanfälle werden mit zunehmendem Alter der Kinder in der Regel seltener. Dafür kommen neue Herausforderungen auf Eltern zu – zum Beispiel Hausaufgaben. Viele Eltern rutschen dabei unbewusst in die Lehrerrolle – doch das ist gar nicht nötig und auch nicht richtig, sagt Familiencoach Leonie Ries. Sie rät: Begleiten statt kontrollieren. Kinder dürfen lernen, Verantwortung zu übernehmen. Macht das Kind die Aufgaben nicht, darf es das je nach Alter selbst mit der Lehrkraft klären. In manchen Familien sind die Hausaufgaben jedoch täglich ein Kampf.
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Es kann sinnvoll sein, als Mama oder Papa erstmal eine mitfühlende Haltung einzunehmen. Ja, Hausaufgaben sind kacke. Aber sie haben nicht die Macht, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern massiv zu belasten. Manchmal hilft es, das Kind in den Arm zu nehmen, Verständnis zu zeigen und ruhig zu erklären, dass die Hausaufgaben leider gemacht werden müssen und wir als Elternteil unterstützend zur Seite stehen. Eltern dürfen dann genauer hinsehen: Ist das Kind über- oder unterfordert? Mag es nicht alleine dasitzen? Braucht es nach der Schule erstmal eine Pause? Oder doch lieber gleich erledigen? Am besten, man überlegt gemeinsam, wie man die Hausaufgaben in den Tag einbaut.
Achtsam in den Tag starten – auch wenn die Kids trödeln
Wer kennt es nicht: Morgens drängt die Zeit, aber die Kinder trödeln. Eltern bringt das auf die Palme. Leonie Ries stellt klar: Pünktlichkeit ist den Eltern wichtig, den Kindern (leider) nicht. Eine kleine Achtsamkeitsübung kann helfen, dies zu aktzeptieren: Denn Kinder ticken nunmal anders als wir Großen. Für die Organisation der Abläufe am Morgen sind zudem die Erwachsenen verantwortlich, sagt Leonie Ries. Den Kindern die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil man zu spät dran ist, sei nicht fair. „Manche Kinder benötigen morgens einfach Zeit, um in die Gänge zu kommen.“ Außerdem möchten viele Kinder morgens noch Aufmerksamkeit tanken, damit sie gut in den Kita- oder Schulalltag starten. Bekommen sie keine positive Aufmerksamkeit, geben sie sich auch mit negativer Aufmerksamkeit zufrieden. Und dann kommt es oft zum Streit.
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Einige To-Do’s bereits am Vorabend erledigen, das nimmt schon mal ein wenig Hektik raus. Manche Eltern berichten, dass sie ihre Kinder nicht im Schlafanzug ins Bett schicken, sondern bereits mit den frischen Klamotten für den nächsten Tag. Viel kuscheln, knuddeln und Verständnis wirken manchmal Wunder. Und natürlich dürfen sich die Eltern selbst erlauben, ihren Morgen so zu gestalten, dass sie entspannt(er) in den Tag starten – vielleicht helfen auch eine 3-Minütige-Morgenmeditation und ein paar Dehnübungen?
Der Wutanfall im Supermarkt
Viele Eltern fühlen sich schon beim Gedanken an das Einkaufengehen mit Kindern gestresst. Genau hier sollte man ansetzen, meint Leonie Ries, und klären: Wie gehe ich eigentlich mit meinem Kind durch den Supermarkt? Oft ist man sehr fokussiert auf den Einkauf, vielleicht genervt, wenn das Kind quatsch macht. Natürlich gibt es auch sehr viele Reize und je nach Alter des Kindes kann es schwer sein, diesen zu widerstehen. Gibt es dann keine zweite Schokolade, kommt es zum Wutanfall: Beim Kind, und manchmal auch bei den gestressten Eltern.
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Es kann helfen, das Kind in den Einkauf miteinzubeziehen und Aufgaben zu übertragen. Auf Wünsche des Kindes können Eltern eingehen, ohne diese sofort zu erfüllen. Sieht ein Kind beispielsweise Schokolade, können Eltern Verständnis zeigen, dass diese richtig lecker aussieht, sie die Schoki jetzt aber nicht kaufen werden. Eine kurze Begründung ist hilfreich, denn ein Verbot aus Ärger oder Prinzip durchschauen viele Kinder und wüten noch mehr. Wenn wir als Eltern trotzdem mega genervt sind und es uns schwer fällt, Mitgefühl zu zeigen, dürfen wir ehrlich reflektieren: Wie oft ist bei uns Erwachsenen schon was im Einkaufskorb gelandet, obwohl es gar nicht auf unserer Liste stand? Eben. Selbst wir können vielen Reizen nicht immer widerstehen, da dürfen wir bei den Kids geduldig sein. Wirft sich das Kind trotzdem schreiend auf den Boden, sollte man am Besten ausblenden, was andere Leute über die Situation denken könnten und den Wutanfall einfach aus-halten. Dies gelingt zum Beispiel mit Achtsamkeitsübungen – drei davon habe ich dir in meinem Guide für 0 Euro 👉 Atmen statt Ausrasten zum download zusammengefasst.
Geschwisterstreitigkeiten zehren an den Nerven
Wenn Geschwister sich streiten, ist das für Eltern oft ziemlich stressig. Verständlich, schließlich wünschen wir uns doch alle Harmonie. Dennoch sind Geschwisterstreitigkeiten wichtige Lernprozesse, sagt Leonie Ries. Kinder üben Konfliktfähigkeit, Empathie und Selbstbehauptung. Sofern keine Gefahr für die Kinder droht, sollten Eltern versuchen, sich so wenig wie möglich einzumischen und als Vermittler fungieren, nicht als Richter. Wenn sich Kinder um Spielzeug streiten, können Eltern fragen, ob sie Hilfe benötigen und dann objektiv zusammenfassen, worum es geht. „Okay, ihr wollt beide das gleiche Spielzeug. Was machen wir denn jetzt?“ Manchmal kommen Kinder selbst auf gute Lösungen. Doch die Erwachsenen dürfen achtsam bleiben – vor allem, wenn sie häufige Rivalität und heftige Streitigkeiten wahrnehmen und diese als sehr belastend empfinden.
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Hinsehen, ohne zu urteilen. Akzeptieren, dass die Situation im Moment so ist, wie sie ist – auch wenn wir sie doof finden. Bei häufigen und heftigen Auseinandersetzungen dürfen Mütter und Väter überlegen, ob jedes Kind ausreichend Exklusivzeit bekommt und die Kinder diese auch als gerecht empfinden. Zudem dürfen Eltern ihre eigenen Beziehungen reflektieren – auch die zu sich selbst. Wenn sie feststellen, dass ein Kind oft „mies“ oder gemein ist, hilft eine achtsame, wertfreie Haltung. Das gelingt beispielsweise mit passenden Meditationen. In einer achtsamen Haltung fällt es uns Eltern leichter, herauszufinden, was hinter dem Verhalten des Kindes steckt. Erst dann kann die Situation verbessert werden.
„Ich war das nicht!“
Wir Eltern gehen hart mit Kindern ins Gericht, wenn wir sie beim Lügen ertappen. „Kinder haben noch nicht den Blickwinkel dafür, dass Schwindeleien auffliegen können“, sagt Leonie Ries. Wenn sie jemanden hauen, wissen sie bestimmt, dass das nicht richtig war. Zu sagen, ich war das nicht, fühlt sich in diesem Moment einfach besser an. Außerdem befürchten sie Ärger, wenn sie die Wahrheit aussprechen.
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Ehrlichkeit und Verständnis. Ganz ehrlich: Sagen wir Erwachsenen immer die Wahrheit? Haben wir vielleicht unsere Kinder schon einmal jünger gemacht, als sie sind, nur um irgendwo Eintritt zu sparen? Wie oft sagen wir „Ja“ obwohl wir eigentlich „Nein“ sagen wollen? Wir dürfen uns deshalb entspannen, wenn wir die Kids beim Schwindeln erwischen. Die Großen machen es auch, ganz unabhängig davon, ob das gut ist, oder nicht. Leonie Ries empfielt außerdem: „Eltern sollten sich immer Fragen, ob sie mit der Wahrheit umgehen und sie akzeptieren können.“ Statt zu schimpfen können sie das Verhalten mit dem Kind besprechen und die Ursachen klären.
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Leonie Ries ist Elterncoach, Erziehungsberaterin und selbst Mama von drei Kindern. Im Interview hat sie mir erklärt, was hinter dem Verhalten von Kindern steckt und wie wir gelassen damit umgehen können. Bild: Leonie Ries.